Regenerative Unternehmen: Weil Nachhaltigkeit nur der Anfang ist

Ein Blogbeitrag von Schirin Groß-Yachkaschi& Hannes Horn, zuerst veröffentlicht bei der Gilde Agile Organisationsentwicklung

Was wir vorhaben

In der Gilde Agile Organisationsentwicklung (OE) haben wir im März 2021 einen Kreis zum Thema Nachhaltigkeit in der Organisationsentwicklung (OE) gegründet. Hier geht es uns vorrangig darum, wie wir das Thema Nachhaltigkeit in die OE integrieren können.

Im Zuge unserer eigenen Reflexionen und Lernprozesse sind wir auf das Thema Regenerative Kulturen/ Systeme gestoßen. Die Perspektive der Autor*innen und Unternehmer*innen mit einem ökosozialen, regenerativen Verständnis, ergänzen die bisherige Bedeutung der Nachhaltigkeit um ein ganzheitlicheres Weltbild und ermöglichen einen konkreten Auftrag der Organisationsentwicklung zur Mitgestaltung einer regenerativen Kultur in Unternehmen (siehe z.B. Laura Storm & Giles Hutchins, 2019;  Daniel Wahl, 2017).

Wir haben daher zusammen mit Anke Loose, Claudia Schröder, Carina Zachariah, Carsten Holtmann und Thomas Klug ein Forschungsprojekt zu regenerativen Organisationen gestartet. Hier möchten wir Lernreisen zu Organisationen durchführen, die wir als regenerativ einschätzen. Unter Lernreise verstehen wir, die Organisation sowohl durch ein oder mehrere Dialoginterviews wie auch durch eine Begehung mit allen Sinnen besser zu verstehen und auch zu erleben. Wir versprechen uns davon, ggf. ähnliche Muster zu erspüren, die auch anderen Unternehmen dabei helfen könnten, sich auf diesen Weg zu begeben.

Dieser Blogartikel wendet sich an Menschen aus Organisationen, die regenerativ handeln und Lust haben, mit uns ins Gespräch zu gehen. Im folgenden Abschnitt erklären wir unsere Gedankengänge zum Thema und wie wir den Begriff verstehen.

Nachhaltigkeit und Regeneration

Der Begriff Nachhaltigkeit hat viele Facetten und Deutungsmöglichkeiten und wurde seit seiner Einführung (siehe z.B. Brundland Bericht, 1987) vertieft und weiterentwickelt (z.B. um die Sustainable Development Goals und tiefergehende Modelle). Doch trotz steigender Bedeutung und zunehmender Diskussionen zum Thema ist bekannt, dass die damit einhergehenden Aktivitäten und Vorhaben nicht ausreichend waren, so dass wir sechs der neun planetaren Grenzen (Stockholm Resilience Centre) unserer Erde z.T. weit überschritten haben.

Quelle: Tweet: https://twitter.com/PIK_Klima/status/1519252116321284097

Noch zur Zeit des Koyoto-Protokoll (11. Dezember 1997) hätte womöglich ein reiner Fokus auf eine ökologische Nachhaltigkeit

„… als Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme (vor allem von Lebewesen und Ökosystemen)“ (Wikipedia)

als wirksam angesehen werden können, um eine dauerhafte Zerstörung und Veränderung unserer aktuellen Ökosysteme zu verhindern. Doch die weiterhin steigenden Treibhausgase, das zunehmende Artensterben sowie der stetige Verlust unserer Biodiversität verdeutlicht, dass wir Menschen dieser Form der Ressourcen-Nutzung bis heute nicht gerecht werden. In ähnlicher Weise haben internationale Vereinbarungen nicht ausreichend dazu beigetragen, dass unsere Wirtschaftsweise für globale soziale Gerechtigkeit sorgt.

Eine „Regenerative Kultur“ hebt die Trennung zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem auf, die wir Menschen geschaffen haben. Aus einem Verständnis der Verbundenheit und Interdependenz mit allen Lebewesen auf der Erde entstehen neue Formen des Lebens und Wirtschaftens, die den Menschen als Teil von einem größeren Ökosystem betrachtet. Diese Weltsicht geht mit der System- und Komplexitätstheorie einher und ist auch in spirituellen Lehren wie dem Buddhismus, der yogischen Lehre oder in einer integralen Haltung beheimatet. Es erwächst ein Verständnis daraus, dass ich nicht anderen Lebewesen Schaden zufügen kann, ohne mir selbst Schaden zuzufügen. Im Gegenzug kann ich durch eine liebevolle Haltung allem Leben gegenüber auch mit mir selbst liebevoll umgehen.

Aus dieser Weltsicht können wir unsere Lebensgrundlagen nicht als Rohstoffquellen und Dienstleistungen ansehen und auch nicht unsere Umwelt bzw. andere Länder als Mülleimer für unseren Abfall und Emissionen. Wir können auch nicht mehr unseren materiellen Wohlstand auf der Basis von sozialer Ungerechtigkeit und Ausbeutung begründen. Und ebenso wenig in einem System funktionieren, dass uns Menschen in eine Selbstoptimierung für mehr Leistung drängt.

Regenerative Kulturen beziehen diese Themen ein und entwickeln, lokal und kulturell angepasste Lösungen, die auf allen Ebenen regenerativ sind.

“Regenerative is the capacity to continue evolving one’s own understanding of oneself and the world. And the capacity to listen to place and listen to culture and do what life is asking. Stepping out of the way and letting that information come through because we really listen. That is regenerative.” (Daniel Wahl im DRRS Zoom call, 37. minute)

Quelle: Daniel Wahl, 2019

Diese Perspektive geht weit über einen reinen Fokus auf technologische Möglichkeiten oder der Formulierungen struktureller Ziele (wie z.B. Klimaneutralität, climate based targets, etc.) hinaus und führt uns zu Fragen über unser derzeitiges Weltbild, Verständnis von Wirtschaft und Zusammenarbeit sowie dem Einfluss unseres Geschäftsmodells auf das Leben auf dieser Erde.

Regenerative Organisationsentwicklung

Wir möchten ein tieferes Verständnis von regenerativ handelnden Organisationen bekommen, um dieses in der OE zur Verfügung stellen zu können. Das Handlungsfeld der OE kann einen wertvollen Beitrag zu einer Reflexion auf Führungs- und Mitarbeiter*innenebene leisten, so dass Organisationen dazu beitragen können, die überschrittenen planetaren und sozialen Grenzen wieder zu regenerieren.

Aus unserer Perspektive ist „Nachhaltigkeit“ ein Verständnis zum Umgang mit „Ressourcen“, während „Regeneration“ dieses Verständnis um eine (intuitive) Verbindung mit der Komplexität des „Lebens“ erweitert.

“Life creates conditions conducive to life.” (Janine Benyus)

Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten Gespräche mit Unternehmen suchen, die ein regeneratives Weltbild (oder Aspekte davon) integriert haben, um in unserem Kreis einen Lernprozess über regenerative Unternehmen in Gang zu setzen. Ziel dieser Erforschung ist es, unsere Begleitung von Organisationen in Richtung regenerative Kulturen weiter zu schärfen. Weitere Blogartikel dazu werden folgen. Wir freuen uns über Hinweise und Kontakte für Unternehmen und Gesprächspartner*innen an Schirin contact@embodied-mind.com und Hannes info@hanneshorn.com.