Nachhaltigkeit in der Organisationsentwicklung Teil 1: ein Experiment mit den Ich-Entwicklungsstufen von Jane Loevinger

Ein Blogbeitrag in zwei Teilen von Schirin Groß-Yachkaschi, Claudia Schröder & Andrea Taher, zuerst veröffentlicht bei der Gilde Agile Organisationsentwicklung

Teil Eins 

Seit der Gründung der Agilen Gilde haben sich verschiedene Kreise gegründet. Dies ist ein Blogbeitrag des Kreises Nachhaltigkeit und Organisationsentwicklung (NOE) https://agile-gilde.org/organisation/

Bereits Anfang 2021, zu Beginn unserer Kreisarbeit, gab es verschiedene Initiativen, den Begriff Nachhaltigkeit im Kontext der Organisationsentwicklung methodisch zu erkunden. Da wir verschiedene Deutungen und Wertevorstellungen zu dem Wort Nachhaltigkeit in uns tragen, erhofften wir uns über unser methodisches Arbeiten Erfahrungsgewinn und möglicherweise passende praktische Einstiegspunkte für Kundensysteme zu entdecken.  

Nachdem wir den Begriff in der Struktur der Wertequadrataufstellung (nach Syst-Institut) betrachtet hatten, startete Schirin Groß-Yachkaschi im Juli 2021 ein neues Experiment. Wir wollten die Frage “Wie kann ich als Organisationsbegleiter:in das Thema Nachhaltigkeit passend zu dem vorhandenen Kommunikationsverhalten einbringen oder in der Organisation adressieren, so dass es für die dort arbeitenden Menschen anschlussfähig werden könnte?” ergründen. 

Dazu nutzten wir das Reifegradmodell der Ich-Entwicklung von Jane Loevinger (aus dem Buch von Martin Permantier 2019: Haltung Entscheidet). Wir forschten in insgesamt drei Arbeitstreffen praktisch dazu. Davon fanden zwei virtuell und eines in Hamburg statt. Teilgenommen haben Andrea Taher, Carsten Holtmann, Claudia Schröder, Katja Witthöft, Monica Margoni und Susanne Delius in jeweils unterschiedlichen Konstellationen. 

Dabei durchliefen wir zwei Prozessphasen: 

Phase 1: Haltung bzw. Verhalten durch Körperwahrnehmung spüren 

Phase 2: Umgang mit vorhandenen Haltungen bzw. Verhalten in Organisationen. 

Dieser Blogbeitrag beschreibt die Phase 1 durch die uns Schirin geführt hat. Mittels Aufstellungsarbeit haben wir die jeweiligen Haltungen, beginnend mit der roten Haltung (selbstorientiert-impulsiv) bis hin zur petrolen/tealen Haltung (systemisch-autonom) erschlossen.

Dabei ging sie so vor, dass wir uns nach einer kurzen Einstimmung über die eigene Körperwahrnehmung jeweils in eine der Stufen/Haltungen hineingestellt haben. Hier ging es darum, zu spüren, wie sich diese Haltung im eigenen Körper anfühlt. Anschließend haben wir aus dieser Haltung heraus Gedanken, Gefühle und Assoziationen genannt, die über Fragen angeregt wurden: “Was ist Nachhaltigkeit?” und “Wie kann man Nachhaltigkeit erreichen?” Diese Gedanken und Gefühle wurden notiert und den jeweiligen Stufen auf dem Board zugeordnet. Hieraus ergab sich eine interessante Sammlung: 

Welche ersten Beobachtungen ergeben sich daraus? Dazu ein paar Stimmen der Erkundenden: 

  • Es könnte sich schwierig gestalten, das Thema Nachhaltigkeit zu platzieren, wenn es auf Haltungen stößt, die u.U. den eigenen Vorteil bzw. den wirtschaftlichen Erfolg als maßgeblich für jegliches Handeln bemessen (rot-orange). Hier bestünde die Gefahr, dass in einem solchen Rahmen nur Projekte angeregt werden, die dem eigenen Image guttun aber nicht wirklich etwas ausrichten. Oder wo im Sinne des eigenen paternatlistischen Weltbildes gönnerhafte Projekte umgesetzt werden (bernstein – gemeinschaftsbestimmt-konformistisch)? Wie weit bewegen wir uns als Berater:innen von unseren eigenen Wertevorstellungen weg, wenn wir das tun? Oder ist es dennoch sinnvoll, in dem Respekt, dass wir alle nun mal da sind, wo wir gerade sind? Und dass es gerade wichtig ist, mit Menschen in Kontakt zu treten, die einem selbst nicht ähnlich sind und anders handeln würden?

  • Interessant war die Beobachtung, dass die grüne Haltung (relativierend-individualistisch) es nicht unbedingt leichter werden lässt. Aus dieser Haltung heraus wird einem erst bewusst, wie groß die soziale und ökologische Gesellschaftsaufgabe ist – und wie weit weg wir davon sind, sie zu erfüllen. Dies lässt die Herausforderung zunächst als schwere Bürde auf einem lasten. Ebenso die Tatsache, dass man Dinge benennt, die viele nicht hören wollen, macht es nicht einfacher. It is not easy being green (Kermit hat es schon lange gewusst). 

  • Erst ab der tealen/petrolen-Haltung wird es wieder leichter: die Suche beginnt nach Dingen, die leicht gehen, nach den “Akupunkturpunkten der Gesellschaft”, wie Otto Scharmer sie nennt. Und es braucht Netzwerke, die mehr bewirken können. Wir müssen es nicht allein schaffen. Wir brauchen Verbündete. 

Die Erkundung hat die Möglichkeit eröffnet, in kurzer Zeit, all die verschiedenen Haltungen zu dem Thema Nachhaltigkeit in sich zu spüren und diese einzunehmen. Ein Erkenntnisgewinn war, dass ein Mensch bei diesem Thema, je nach Kontext auch in seiner/ihrer Haltung “springen” kann. Uns selbst dabei zu beobachten, lässt uns erkennen, wie viele Haltungen und somit Spannungsfelder in uns selbst vorhanden sind.  

Diese unterschiedlichen Bilder zu dem Begriff Nachhaltigkeit, die während der Arbeit entstehen durften, können uns bezogen auf Organisationen dabei unterstützen, Unterschiedlichkeiten zu beobachten und angemessen darauf einzugehen, um das Thema einzubringen.