WAS HAT DIE KOLLEGIALE FÜHRUNG MIT NACHHALTIGER ENTWICKLUNG ZU TUN?

zuerst veröffentlicht bei der Gilde Agile Organisationsentwicklung

Auf den ersten Blick vielleicht wenig. Aber wie bei so Vielem ist dies eine Frage der Betrachtungsweise. Und ich möchte im Folgenden mal laut denken, um Verbindungen sichtbar zu machen.

Kollegiale Führung

Die Kollegiale Führung ist eine Form der agilen Organisationsentwicklung. Sie basiert auf einer systemisch-integralen Haltung und lässt die Entwicklungsschritte einer Organisation im Prozess entstehen. Im Gegensatz zu spezifischen, agilen Methoden bietet die Kollegiale Führung die Möglichkeit, Agilität schrittweise einzuführen und verschiedene Lösungswege auszuprobieren. Die Geschäftsführer:innen bestimmen, wie weit die Agilität bzw. Selbstorganisation eingeführt werden darf und die Mitarbeiter:innen entscheiden nach dem Pull-Prinzip, ob und wieviel sie sich davon ziehen. Es gibt eine Auswahl an Werkzeugen, derer sich selbstorganisierte Teams bedienen können. Und nach der systemischen Lernschleife werden diese Werkzeuge iterativ getestet und angenommen, angepasst oder verworfen. Agiler werden, wird ein Lernprozess, in der die Mitarbeiter:innen und Teams lernen, zu lernen, zu entscheiden, Fehler zu machen, Verantwortung zu übernehmen und selbstwirksam zu werden.

Die Kollegiale Führung setzt bewusst nicht darauf, sich mit noch mehr Effizienzsteigerung zu vermarkten, sondern die gelebten Werte und Haltungen ins Zentrum zu stellen. Wofür möchten die Geschäftsführer:innen ihr Unternehmen agiler gestalten? Diese Form der Organisationsentwicklung macht meines Erachtens vor Allem dann Sinn, wenn neue Formen der Zusammenarbeit auf Augenhöhe gesucht werden. Wenn Führung nicht mehr mit Position, sondern mit Rolle verbunden wird und die Menschen in einer Organisation ein gemeinsamer Sinn und das gemeinsame Wirken verbindet. Für mich ist die Organisationsentwicklung anhand der Kollegialen Führung eine Möglichkeit, zukunftsfähige Organisationen entstehen zu lassen – basierend auf einem Reifegrad, der das Wohl aller Lebewesen auf diesem Planeten im Blick hat. Und einer Agilität (also Anpassungsfähigkeit), die es ermöglicht, in einer VUCA Welt zu bestehen.

Kein Ansatz der Organisationsentwicklung kann per se eine höhere Reife und Haltung in einer Organisation erzeugen. Aber es ist möglich, durch die Art der eingeführten Strukturen, Prozesse und Werkzeuge einen Rahmen zu erzeugen, in der reifere Haltungen mehr Raum bekommen – wie z.B. Kooperation und Ko-Kreativität statt Konkurrenz, Dialog (im Sinne einer lernenden Konversation) statt Debatte (im Sinne von den eigenen Standpunkt als den Richtigen zu vertreten), Lernen und Anpassen anstatt von starren Vorgaben, Augenhöhe anstatt von Macht- und Statusspielen, Vertrauen anstatt von Kontrolle.

Letztlich werden wir als Menschheit nur langfristig überleben, wenn wir die Art, wie wir derzeit wirtschaften und unsere Lebensgrundlagen ausbeuten, grundsätzlich in Frage stellen. Und dazu gehört auch die Art, wie wir zusammenarbeiten und wirken und welche Werte wir dabei in den Vordergrund stellen. Und hier ist mein Übergang zur Nachhaltigkeit, denn auch hier geht es um ein Umdenken und anders bewerten der Ziele, die wir derzeit global verfolgen. Es geht darum, zu erkennen, dass wir nicht die wirtschaftliche Entwicklung höher einstufen dürfen als die soziale und ökologische. Und dass wir eine nachhaltige Wirtschaft brauchen, wie es uns die vorhandenen Modelle schon aufzeigen, wie das Konzept der Kreislaufwirtschaft, die Gemeinwohlökonomie oder die Donut Ökonomie.

Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development) und die Agenda 21 wurden auf der Weltumweltkonferenz 1992 in Rio de Janeiro eingeführt. Hier ein Zitat vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU):

„Die Ressourcen der Erde werden heute genutzt wie in keinem Zeitalter zuvor. Und das, obwohl sie oftmals nur begrenzt zur Verfügung stehen. Nachhaltigkeit bedeutet, mit den Ressourcen zu haushalten. Hier und heute sollten Menschen nicht auf Kosten der Menschen in anderen Regionen der Erde und auf Kosten zukünftiger Generationen leben. Nachhaltigkeit betrifft alle Bereiche unseres Lebens und Wirtschaftens und ist folglich eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Das Leitbild verlangt nach einer gesellschaftlichen Entwicklung, die ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig ist. Wir verfügen nur über die eine Erde. Es geht darum, diese Erde auf Dauer und für alle unter lebenswerten Bedingungen bewohnbar zu erhalten. Dabei ist vor allem die Umwelt im Nachhaltigkeitskonzept der limitierende Faktor – nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene.“

Auf der Rio-Konferenz hat sich die internationale Staatengemeinschaft auf ein Leitbild zur nachhaltigen Entwicklung geeinigt – mit wenig Ernsthaftigkeit in der Umsetzung. Es hat seitdem einige Maßnahmen und Folgekonferenzen gegeben. Heute, 30 Jahre später, ist die Welt dennoch stärker bedroht als je zuvor. Ich glaube nicht, dass wir nur im Kleinen vorgehen können und damit die Welt retten. Es wird letztendlich normative Veränderungen brauchen, also Gesetze und Regelungen, die ein nachhaltiges Wirtschaften nicht zum Luxus, sondern zur Norm werden lassen.

Aber ich glaube auch an die Kraft der gelebten erfolgreichen Beispiele, in denen Menschen und Organisationen sich entscheiden, anders zu wirtschaften und die sozialen und ökologischen Auswirkungen miteinzubeziehen. Das sind z.B. Zebra Start-ups und die sozialen oder ökologischen Unternehmen, die schon vieles bewirken und von denen sich zunehmend Menschen angesprochen fühlen. Und auch die schon erfolgreich eingeführten Modelle, wenn z.B. Unternehmen eine Gemeinwohlbilanz erstellen.

Und hier verbindet sich meine Ausgangsfrage zu einer These: nämlich, dass zukunftsfähige Organisationen und zukunftsfähige Gesellschaften und Ökosysteme in Verbindung stehen. Ich glaube, dass die Kollegiale Führung einen Rahmen bietet, der es Organisationen ermöglicht, ihre Reflexionsfähigkeit und Wirksamkeit in Bezug auf nachhaltige Themen zu erhöhen. Wir können nicht mehr weiter versuchen, nur uns selbst zu retten. Auf dem Schiff Erde sind wir alle im gleichen Boot. Und so ist die Zukunft unsere Zukunft. Und die gelingt aus meiner Sicht nur Ko-kreativ.

Ein erster Schritt im kleinen Universum der Gilde Agile Organisationsentwicklung war die Gründung eines Kreises zum Thema ‚Nachhaltigkeit und Organisationsentwicklung‘ am 26.03.2021. Hier vernetzen wir uns unter Berater:innen, die nicht nur das Thema Kollegiale Führung verbindet, sondern auch der Wunsch, auf der Basis unserer Arbeit einen Beitrag zur Nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Die in diesem Rahmen schon entstandenen gemeinsamen Denk- und Forschungsräume erlebe ich als bereichernd und stärkend, gerade, um auch hier die Ko-Kreativität zu nutzen und miteinander zu wachsen. Und um – wie am letzten Forum der Gilde praktiziert – mit der Erde zu stehen.